Interview mit Fabio Vighi zu Finanzkrise und Corona
Aufgrund des Hinweises von @Ashitaka (siehe hier: https://www.dasgelbeforum.net/index.php?id=670173) auf den Italiener Vighi halte ich es für nützlich einmal Auszüge aus einem Interview mit dem Professor für Kritische Theorie vom März 2023 hier einzustellen.
Es ist sehr lesenswert, denn die Aussagen sind nach wie vor gültig.
Fabio Vighi über die Rettung der Wirtschaft durch Covid und die damit einhergehenden sozialen Verwüstungen
Der Staat ist Schutzengel des Finanzkapitals
Während der Pandemie schien der Kapitalismus plötzlich ein menschliches Antlitz zu bekommen: Wir retten Menschenleben, selbst wenn es der Wirtschaft schadet! Sie sagen: Es war genau umgekehrt. Die Lockdowns haben die Wirtschaft gerettet und menschlich eine Verwüstung angerichtet. Wie kommen Sie darauf?
Der Grund ist ganz einfach: Der eigentliche Patient in dieser Krise ist der Kapitalismus.
Unmittelbar bevor Covid auftauchte, standen wir vor einer weiteren großen Finanzkrise, deren Ausmaß die Krise von 2008 zu übertreffen drohte. Im Sommer 2019 veröffentlichten die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und der Vermögensverwalter Blackrock mehrere Berichte und Arbeitspapiere, in denen sie vor einem Crash warnten. Sie forderten »beispiellose Maßnahmen« und eine »unkonventionelle Geldpolitik«.
Die Idee war, den Finanzsektor mit ungeheuerlichen Mengen Geld zu fluten, um einen Kollaps zu verhindern, wenn die Blasen anfangen zu platzen.
Blasen entstehen, wenn die Vermögenswerte, nichts mehr mit dem tatsächlichen Wert zu tun haben.
Man wettet bloß die ganze Zeit mit billigen Krediten auf künftige Gewinne. Irgendwann fliegen diese leeren Wetten auf. Der folgende Dominoeffekt reißt dann alles in den Abgrund.
Es genügt ein kleiner Vorfall, zum Beispiel eine kleine Erhöhung der Zinsen, also der Kreditkosten, um die Blasen zum Platzen zu bringen.
Im September 2019 geschah genau das.
Die Zinsen im Repo-Markt – einem wichtigen Markt für sehr kurzfristige Kredite – stiegen sprunghaft an. Der Patient lag sozusagen schon auf der Intensivstation.
Die Zentralbanken begannen sofort, riesige Summen Geld in den Finanzsektor zu pumpen. Zentralbanken haben dieses Privileg, Geld zu erzeugen, indem sie einfach eine Zahl in einen Computer tippen.
Es war klar, dass keine Summe zu hoch sein würde, um den Patienten zu retten.
Aber was hat das alles mit den Lockdowns zu tun?
Wenn man so viel Geld per Mausklick aus dem Nichts in die Finanzökonomie pumpt, entsteht die Gefahr einer Hyperinflation in der Realökonomie mit unabschätzbaren Folgen. Diese Gefahr kann man kontrollieren, wenn man die Realökonomie drosselt.
Je weniger produziert und konsumiert wird, desto weniger Geld ist im Umlauf und desto geringer die Inflation.
Die Lockdowns hatten genau diesen Effekt. Sie zögerten die Inflation hinaus, die man durch die monetäre Flutung der Finanzmärkte verursacht hatte. Die Folgen der Geldschwemme ließen sich so besser kontrollieren.
In dieser Hinsicht kam Covid mehr als gelegen.
Man konnte die tickenden Bomben im Finanzsektor entschärfen und gleichzeitig den Inflationsschub hemmen.
Gleichzeitig hat der Staat aber auch viele Unterstützungsprogramme auf den Weg gebracht.
Da ging es weder um die Rettung der Finanzindustrie, noch machte man sich allzu viele Sorgen um die Inflation.
In der Tat dachten viele Menschen, vor allem auch viele Linke, der Staat stehe in dieser Krise schützend an ihrer Seite. Diese Vorstellung impliziert aber, dass der Staat irgendwie unabhängig vom Kapital sei.
Das ist eine falsche und sehr naive Einschätzung, geradezu eine Fetischisierung des Staates. Unter Linken ist das leider kein neues Phänomen. In Wirklichkeit ist der Staat schon seit langer Zeit eine Art Schutzengel des Kapitals, insbesondere des Finanzkapitals.
Der Staat und das Finanzkapital sind heute lediglich zwei Seiten derselben Medaille.
Wir nennen das dann euphemistisch Private-Public-Partnership. Das ist bereits eine ideologische Verdrehung. Ihren Höhepunkt hat diese ideologische Manipulation aber in dem Kunststück gefunden, die Leute davon zu überzeugen, dass die Pandemiepolitik ethisch gut und im Interesse der Bevölkerung gewesen sei.
Und die Rettungspakete?
Man darf nicht vergessen, dass parallel zu diesen Hilfen kleine und mittlere Unternehmen dauerhaft Pleite gingen. Ich spreche auch von einer kontrollierten Zerstörung. Da wurde nichts gerettet.
Die Hilfen für die Bevölkerung sind ein paar Krümelchen, wenn man sie mit den gigantischen Summen vergleicht, die in den Finanzsektor gepumpt wurden.
Es war also ein großer Fehler, vor allem der Linken, eine solche Hoffnung in den Staat zu setzen.
..
Das sind düstere Aussichten.
Ja, wir befinden uns in einer Sackgasse. Aus kapitalistischer Sicht gibt es keinen Ausweg.
Wenn man noch mehr Geld in den Finanzsektor pumpt, hat man ein Problem mit der Inflation oder sogar Hyperinflation und muss irgendwie die Realökonomie runterfahren.
Wenn man hingegen die Zinsen erhöht, also Geld teurer macht, wie es derzeit vorsichtig versucht wird, riskiert man einen Crash, denn das ganze System basiert auf billigen Krediten.
Es ist also eine Lose-lose-Situation.
Der Patient kann sich lediglich aussuchen, welchen Tod er sterben will.
Falls man in einer solchen Lage überhaupt noch etwas tun kann, gilt es zu verstehen, was vor sich geht.
Erst dann kann man sich der großen Frage widmen, wie das gesellschaftliche Leben anders organisiert werden könnte – jenseits der kapitalistischen Kategorien, die obsolet geworden sind.
Quelle: https://www.linksbuendig.ch/blog/interview-mit-fabio-vighi
Kleiner Hinweis von mir am Rande.
Linke sind oftmals sehr stark in der Analyse (Theorie), aber in der Praxis geht es dann so.
mfG
nereus