Legitimität fällt nicht vom Himmel

Weiner, Donnerstag, 18.07.2024, 09:00 (vor 210 Tagen) @ Dieter1071 Views

Hallo Dieter -

eigentlich ist es sehr interessant, diese ganzen Zusammenhänge zu diskutieren. In der Praxis bringen sie uns leider nicht viel weiter.

Wenn ich Dir ganz scharf antworten wollte, dann würde ich sagen, dass ein Gespräch über die Legitmität des Staates ein reines Sprachspiel ist. Vor ein paar Jahrhunderten gab es diesen Begriff noch gar nicht. Die Leute wußten überhaupt nicht, dass sie in einem Staat lebten. Es war allenfalls eine Diskussion möglich, ob der ins Auge gefasste Nachfolger des Königs der legitime oder der illegitime Sohn wäre. Und der Herrscher an sich war sowieso nicht legitim sondern "von Gottes Gnaden". Wenn nun damals jemand die Frage nach der Legitimität aufwerfen wollte (etwa auch in der Hinsicht auf irgendwelche Erblande, die eigentlich gar nicht dem Herrscher gehören würden), dann musste er zuerst einen militärischen Verband aufstellen und eine Kriegskasse ansparen.

Und heute ist es immer noch genauso!! Eine Diskussion über die Legitimität unseres Staats kann erst dann REAL geführt werden, wenn diejenigen, die seine Legitimität anzweifeln, auch die POWER haben, den angeblich nicht legitmen Staat herauszufordern und zu besiegen. Zuerst fasst man ans Schwert, und dann erst macht man den Mund auf. Alles andere sind nur Sprachspiele. Oder willst Du die Legitimität des Staates am Verfassungsgericht überprüfen lassen? Das ist, wie wenn man den Teufel bei seiner Schwiegermutter anzeigt.

Ich bleibe also bei meiner Aussage: die freiwillige Unterwerfung findet nicht nur am Anfang, also bei der Staatsgründung statt, sondern in jedem Moment, auch jetzt, und auch bei jedem und jeder, der und die hier mitliest.

Ich bezweifle auch, dass wir Freiheit haben. Wir können uns allenfalls entscheiden zwischen LIDL und ALDI. Aber danach hört es sehr schnell auf mit der Freiheit. Wer gibt uns denn eine Idee davon, was genau die Inhalte unserer Freiheit sein sollen? Der Zufall in unserer Erziehung und Umwelt (oder deren zykische Strukturen ...). Man sagt, dass das Auto dem Menschen mehr Freiheit gegeben habe, wie alle politischen Theorien bisher. Diejenigen, die das behaupten, die haben nicht begriffen, dass das Auto das Produkt eines Zwangsstaates ist - eines Staates, der meinetwegen von oben nach unten und von rechts nach links und von hinten nach vorne komplett debitistisch durchstrukturiert ist. Eine Menschheit, die in Gemeinschaften lebt, die die "Dunbar-Zahl" nicht überschreiten, kann keine Autos bauen. Nochmals: wir unterwerfen uns in jedem Augenblick.

Es wird nicht gern gelesen, wenn ich sage, dass für eine Änderung der Verhältnisse Mitwirkende und MEHRHEITEN erforderlich sind. Es geht aber gar nicht anders (deswegen meine plastischen Bilder von 1 Mio Demo gegen Compact-Verbot). Einen Staat zu "reformieren" ist fast genauso schwer, wie einen Staat zu gründen. Es geht aber - wiederum - nur mit entweder Gewalt (siehe zB. Cromwell) oder indem man die herrschenden Regeln zur Anwendung bringt. Im 20. Jahrhundert war Demokratie die herrschende Regel. Hitler ist abosolut legitim und legal an die Macht gekommen. Jeder kann heute ganz genau anhand von historiechen Dokumenten nachvollziehen, bis in den letzten Tagebucheintrag (ob bei Göbbels oder Himmler), wie die politische Mechanik hierbei ablief. Wir sehen die Entourage bis ins kleinste Detail, wir sehen ihren Wechsel (mal muß einer wie Röhm erschossen oder ein anderer wie Hess für geisteskrank erklärt werden ...). Aber es geht am Ende nicht ohne "Mobilisierung" (!!) von weiteren Mitstreitern. Hitler hat sich an die gesetzlichen Regeln gehalten - zehn Jahre lang. Er wurde mit überwältigenden Mehrheiten am Ende gewählt. Einmal sicher im Sattel kann man dann tun und lassen, was man will - es sei den Stärkere kommen daher (Roosevelt, Churchill & Stalin). Man kann aber auch einen Churchill besiegen: Beispiel Gandhi, auch einer, dem es gelungen ist, Mitstreiter für seine Auffassung von Legitimität zu gewinnen. Stark geht nur gemeinsam. Forderungen nach Legitimitä ohne Stärke sind Sprachspiele.

Ich möchte nochmals betonen, dass der Zwangsstaat biologisch gesehen die effizienteste Form menschlichen Zusammenlebens ist. Er kann die meisten Individuen produzieren und gleichzeitig die komplexesten kulturellen Schöpfungen hervorbringen. Immer am Abgrund entlang. Ich verteidige ihn nicht. Wer will, kann ihn ändern oder verbessern. Das wäre wünschenswert, und viele versuchen es ja auch. Aber dazu muß man stark sein. Und man sollte den Weg kennen, den die Geschichte gehen will.

In meinem letzten Beitrag habe ich geschrieben, dass wir drei Optionen haben: (1) ich werde Teil der Macht, (2) ich kämpfe gegen die Macht und hoffe auf Sieg, riskiere aber den Tod, (3) ich unterwerfe mich der Macht.

Es gibt natürlich noch die vierte Option, dass man sich dem Machtspiel versucht zu entziehen.

Viel Glück!

Wünscht Weiner.


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